4B-Movement: Wer dieser Tage aufmerksam durch TikTok oder Instagram scrollt, ist vielleicht schon auf diesen Begriff gestoßen. 4B steht für die vier koreanischen Wörter bihon, bichulsan, biyeonae und bisekseu, was übersetzt so viel bedeutet wie: keine Ehe, keine Kinder, keine romantischen Beziehungen und keinen Sex mit männlich gelesenen Personen, die sich nicht mit den Werten der Bewegung solidarisieren.
Ursprünglich ein Randphänomen, hat sich das 4B-Movement zu einer feministischen Strömung entwickelt, die sich gegen ein System wendet, das weiblich gelesene Menschen zu kontrollieren versucht und an eigentlich überholten Geschlechterrollen festhält. Warum aber erreicht diese Bewegung gerade jetzt die USA und wird dort immer relevanter?
Wie das 4B-Movement in Südkorea entstanden ist
Die Bewegung entwickelte sich 2016 in Südkorea als Antwort auf die stark ausgeprägte Geschlechterungleichheit im Land. Prof. Ju Hui Judy Han, Expertin für Gender Studies an der University of California in Los Angeles, beschreibt das 4B-Movement in einem Blogeintrag als eine Art Randerscheinung der #MeToo-Bewegung und anderer feministischer Initiativen, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen aussprachen.
Eine einschneidende Tragödie prägte die Bewegung damals: 2016 wurde eine junge Frau in der Nähe einer U-Bahnstation in Seoul brutal ermordet – der Täter erklärte, er habe sie getötet, weil er sich von Cis-Frauen ignoriert fühlte. Dieser Femizid löste eine landesweite Debatte darüber aus, wie das weiblich gelesene Geschlecht in der südkoreanischen Gesellschaft behandelt wird. Es folgten umfangreiche Diskussionen über geschlechtsspezifische Gewalt, digitale Sexualverbrechen und Rachepornografie, die die Notwendigkeit eines radikalen Wandels ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten. Diese Ereignisse brachten auch einige junge Südkoreanerinnen dazu, die traditionellen Vorstellungen von Ehe und Familie infrage zu stellen und sich der 4B-Bewegung anzuschließen.
Ein radikaler Akt der Selbstbestimmung in einem patriarchalen System
In Südkorea steht das 4B-Movement heute für eine Form der Selbstermächtigung und des Schutzes vor den Belastungen und Gefahren, die mit traditionellen Beziehungen verbunden sind. In einer Gesellschaft, die von starkem finanziellem Druck, hohen Lebenshaltungskosten und einer ungleichen Verteilung von Verantwortung und Anerkennung in Ehen und Familien geprägt ist, erscheint den Anhängerinnen der Verzicht auf romantische Bindungen als logischer Schritt.
Die Entscheidung für ein Leben ohne Ehe und Kinder ist nicht nur eine persönliche Entscheidung, sondern auch ein politisches Statement gegen eine Kultur, die oft erwartet, dass weiblich gelesene Personen sich selbst aufopfern. Ju Hui Judy Han warnt aber auch vor Trans- und Homophobie, die von einigen radikal-feministischen Vertreterinnen der 4B-Bewegung propagiert wird. Solche Strömungen scheinen aber bislang in den USA noch nicht ausgeprägt zu sein.
Eine ähnliche Welle der Frustration in den USA
In den USA spiegelt das 4B-Movement ähnliche Bedenken hinsichtlich des eingeschlagenen politischen Kurses wider, wenn auch aus einem anderen gesellschaftlichen Kontext heraus. Die weiteren Einschränkungen beim Recht auf Abtreibung, die jetzt drohen, sowie kontroverse Aussagen wie „Your body, my choice“ von rechtsextremen Kommentatoren wie Nick Fuentes haben viele erschüttert und verunsichert.
„Your body, my choice. Forever“
-Nick Fuentes#NickFuentes #AmericaFirst #Trump2024 @NickJFuentes pic.twitter.com/8rjAIgtsi7
— MKNLY (@_MKNLY) November 8, 2024
Mit einer weiteren Amtszeit von Donald Trump und konservativen Kräften, die sich aktiv gegen die reproduktiven Rechte von Menschen mit Vulva wenden, wächst der Druck, sich gegen ein System zu wehren, das versucht, über ihren Körper und ihre Lebensentscheidungen zu bestimmen. Der Verzicht auf Beziehungen, Ehe und Familie wird damit zu einem politischen Widerstand, einer Reaktion auf das, was viele als Eingriffe in die persönliche Freiheit und Autonomie empfinden.
Eine nicht unumstrittene Strategie
Für die Unterstützerinnen bedeutet die Bewegung Selbstschutz und Selbstbestimmung in einem System, das das weiblich gelesene Geschlecht allzu oft kontrolliert und einschränkt. Doch bleibt offen, ob dieser Protest in Form eines persönlichen Boykotts eine nachhaltige Veränderung herbeiführen kann. Der völlige Rückzug aus Beziehungen und das Ablehnen von Ehe und Familie kann keine nachhaltige Lösung darstellen, um Geschlechterungleichheit zu bekämpfen.
Durch den Verzicht auf Beziehungen und Kinder entziehen sich die Protestierenden zwar den patriarchalen Erwartungen, gesellschaftliche Dialoge und Veränderungen könnten dadurch aber blockiert werden. Zudem könnte die Bewegung dafür sorgen, dass der Zusammenhalt in feministischen und LGBTQIA-Lagern schwindet.
Der „Sex-Streik“ hat eine lange Geschichte
Das Konzept, zu politischen Zwecken in „Sex-Streik“ zu gehen, ist im Übrigen nicht neu: Schon der griechische Dichter Aristophanes widmete sich dem Thema in „Lysistrata“ und 2009 streikten in Kenia tausende Cis-Frauen, um für politischen Frieden zu sorgen.
4B ist eine Flucht, die zwar aus verständlicher Frustration heraus erfolgt, aber womöglich wenig dazu beitragen kann, strukturelle Ungleichheiten zu lösen. Es stellt sich in dem Zusammenhang auch die Frage, ob es wirklich eine Lösung ist, einfach auszusteigen, statt Veränderungen einzufordern? Schließlich besteht so auch die Gefahr, dass junge Menschen durch den kompletten Rückzug das Vertrauen in das Potenzial einer romantischen Beziehung verlieren könnten.
Klar ist aber: Frauen setzen ein Zeichen gegen gesellschaftliche Erwartungen, das über Grenzen hinweg wahrgenommen wird – und dieses Zeichen lässt sich so schnell nicht ignorieren.