Am 11. Oktober ist National Coming Out Day – ein Tag, an dem Personen aus der LGBTQIA+-Community ermutigt werden, sich öffentlich zu zeigen und so Sichtbarkeit für das Thema zu schaffen. Ein Coming-Out ist aber meist nicht einfach: Sich zu outen ist ein großer Schritt, der viel Kraft kostet und mit Angst verbunden ist – unter anderem auch vor unangenehmen Reaktionen auf das Outing. Leider sind queere Personen auch 2023 immer noch Ablehnung, Unverständnis und Hass ausgesetzt und sich zu outen kann im schlimmsten Fall lebensbedrohlich sein. Aber auch gut gemeinte Reaktionen können ihr Ziel verfehlen und verletzen oder verunsichern – manchmal schmerzen diese Antworten sogar besonders.
„Heutzutage sollte sich doch niemand mehr outen müssen, das ist doch ganz normal” ist beispielsweise ein Satz, den viele queere Menschen nicht mehr hören möchten. Auch wenn er Unterstützung und Toleranz signalisieren soll – gut gemeint ist manchmal eben das Gegenteil von gut. Klar, in einer idealen Welt wären unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Genderidentitäten tatsächlich normalisiert und würden nicht mehr für Aufsehen sorgen. Aber die Welt ist kein perfekter Ort, besonders für Menschen, die sich außerhalb von vermeintlichen Normen bewegen. Wenn wir die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, müssen wir diese Unterschiede unbedingt anerkennen. Erst so kann ein Safe Space geschaffen werden, in dem sich queere Personen outen können – und es vielleicht eines Tages gar nicht mehr tun müssen.
Definition von Coming-Out
Bevor wir über die richtige Reaktionsweise sprechen, sollte erstmal kurz definiert werden, was ein Coming-Out eigentlich bedeutet. Denn viele verstehen unter diesem Begriff einen Zeitpunkt oder eine Phase: Den Zeitraum, in der queere Personen Menschen in ihrem Umfeld von ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Genderidentität erzählen. Also, dass sie – entgegen der gesellschaftlichen Norm – nicht heterosexuell sind oder trans. Ein Coming-Out ist allerdings mehr als dieser eine große Moment der Wahrheit, es ist vielmehr ein Prozess. So gibt es im Leben einer queeren Person immer wieder neue Coming-Outs: eigentlich jedes Mal, wenn ein Mensch sich vor neuen Menschen zu seiner Queerness bekennt.
Doch wie reagierst Du angemessen, wenn sich eine Person in Deinem Umfeld outet? Das ist natürlich individuell, doch es gibt trotzdem einige Dos and Don’ts, an denen Du Dich orientieren kannst. Ganz generell gilt: Begegne den Menschen nicht einfach nur mit Toleranz, sondern mit Respekt und Empathie. Höre aufmerksam zu, um zu verstehen, statt um zu antworten. Zeig Interesse, ohne dabei Grenzen zu überschreiten. Sei ein*e Ally.
Do
„Danke für Dein Vertrauen“
Wenn sich eine queere Person bei Dir outet – besonders, wenn es das erste Outing ist – ist das ein großer Vertrauensbeweis. Zeige, dass Du das zu schätzen weißt und bestätige der Person, dass sie offen mit Dir sprechen kann.
„Kann ich etwas für Dich tun?“
Vielleicht fühlt sich die Person gerade einfach erleichtert nach dem Coming-Out und braucht nichts. Vielleicht ist sie emotional aufgewühlt und möchte eine Umarmung. Vielleicht braucht sie einen Ort zum Übernachten, weil die Familie Queerness nicht akzeptiert. Frage nach und zeige damit Deine Unterstützung.
„Magst Du mehr erzählen?“
Das Outing kann für alle Beteiligten aufregend sein. Aber bevor Du Dein Gegenüber mit Fragen überhäufst, strecke Deine Fühler aus. Hat die Person gerade Lust, mehr über das Thema zu sprechen oder lieber später oder vielleicht in einem anderen Setting?
„Wem hast Du es schon gesagt?“
Informiere Dich darüber, wer bereits Bescheid weiß und auch, wie die Reaktionen waren. Und frage nach, ob es Menschen gibt, die auf keinen Fall vom Outing erfahren dürfen.
„Ich weiß gerade nicht, wie ich reagieren soll“
Ein überraschendes Coming-Out kann überfordernd sein. Du weißt gerade nicht, wie Du am besten mit der Information umgehen sollst und möchtest nicht falsch reagieren? Das darfst Du so kommunizieren. Besser Du sagst offen, dass Du gerade überrumpelt bist und nicht weißt, wie Du richtig reagieren sollst, als dass Du im Affekt etwas Unbeabsichtigtes sagst. Wichtig ist: sei ehrlich, aber mache der Person kein schlechtes Gewissen und zeige Deine Unterstützung.
„Was sind Deine Pronomen?“
Wenn sich eine Person bei Dir als trans outet, dann frage nach, ob und welche neuen Pronomen sie verwendet und ob sie einen Namen hat, mit dem sie neu angesprochen werden möchte. Damit zeigst Du, dass Du die Identität der Person respektierst.
Kontext, Kontext, Kontext
Mach Dir Gedanken darüber, in welcher Phase ein Mensch gerade ist und an welcher Station seiner queeren Reise er sich befindet. Überlege Dir, wie sich das für die Person anfühlt und welchen Herausforderungen sie sich momentan stellt. Dein neuer Arbeitskollege, der Dir beiläufig erzählt, dass er seit 15 Jahren mit seinem Ehemann verheiratet ist, erwartet von Dir eine andere Reaktion, als Deine beste Freundin, die Dir anvertraut, dass sie trans ist und ihre Familie sie deshalb nicht mehr akzeptiert.
Informiere Dich
Eine empathische Reaktion auf ein Coming-Out ist gut, aber damit ist es noch lange nicht getan. Um auch darüber hinaus für die Menschen in Deinem Umfeld da zu sein, solltest Du Dich über queere Themen informieren – vor allem, wenn Du selbst nicht queer bist. So erhältst Du ein besseres Verständnis für die Realität Deiner Mitmenschen und welchen Herausforderungen sie sich auch im Alltag stellen müssen. Mach Dich vertraut mit der Terminologie – was bedeutet „non-binär”? Was ist Heteronormativität? Weshalb wünschen sich Leute eine inklusive, gendergerechte Sprache? Setze Dich aber auch mit Diskriminierung auseinander, hinterfrage, welche Stereotypen Du unbewusst aufrechterhältst und mach Dich schlau zur Geschichte des LGBTQAI+ Movements. Du musst nicht von heute auf morgen alles wissen – aber bilde Dich und zeig Interesse.
Eine kleine Empfehlung: Lies unsere Interviews mit der trans Frau Alina Maria und dem trans Mann Jonathan.
Don’t
„Wieso hast Du nie etwas gesagt?“
Vielleicht bist Du enttäuscht und hättest Dir gewünscht, dass die Person sich Dir früher anvertraut hätte. Mach ihr dafür keine Vorwürfe. Du kannst davon ausgehen, dass die Person gute Gründe hat(te), um mit einem Outing zu warten. Ein Coming-Out ist ein Prozess und oft brauchen Menschen sehr viel Zeit, um sich selbst zu akzeptieren und sich vor sich selbst zu outen. Offen queer sein, kann außerdem gefährlich sein – verständlich, wenn sich Queers also gut überlegen, wem sie sich anvertrauen.
„Bist Du sicher?“
Again: Gehe davon aus, dass die Person sich nicht spontan geoutet hat, sondern sich lange und viele Gedanken zu ihrer Identität gemacht hat. Mit dieser Frage spielst Du diesen Prozess herunter. Es schmerzt Menschen, so etwas zu hören, wenn sie einen langen und anstrengenden Selbstfindungsweg hinter sich haben oder sich immer noch in dieser Phase befinden. Akzeptiere den momentanen Status einer Person bedingungslos. Und wenn sich dieser nochmals ändert – go with it. Sexualität und Genderidentitäten sind ein Spektrum, auf dem sich Menschen unterschiedlich starr oder fluide bewegen.
„Ich habe es immer geahnt“
Dieser Satz kann unterschiedlich wahrgenommen werden. Einige queere Personen fühlen sich dadurch gesehen und in ihrer Identität bestätigt. Andererseits verbringen viele Queers ihr Leben vor dem Coming-Out damit, sich anzupassen und zu verstecken. Dann hören zu müssen, dass all diese Anstrengung umsonst war, tut weh.
„Das spielt doch gar keine Rolle“
Auch dieser Satz kann ambivalent sein und je nach Kontext bestärkend oder schlichtweg ignorant wirken. Willst Du mit dem Satz sagen „Für mich ändert das nichts an unserer Beziehung, weil ich Dich bedingungslos liebe und respektiere“? Dann sag das auch so. Denn Queerness spielt sehr wohl eine Rolle, solange Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung und ihrer Genderidentität diskriminiert werden.
„Stehst Du jetzt auf mich?“
Herzliche Gratulation zum Selbstbewusstsein, aber nur, weil eine Person auf das Geschlecht steht, dem Du Dich zugehörig fühlst, muss sie Dich noch lange nicht unwiderstehlich finden. Bei Freund*innen entwertest Du mit dieser Frage außerdem eure Freundschaft. Aber: Wenn Dich das Coming-Out zum Nachdenken bringt und Du Dein*e Freund*in plötzlich mit anderen Augen siehst, ist das vielleicht ja Dein eigenes queer Awakening – explore it 😉
Es geht nicht um Dich
Nimm bei einem Coming-Out-Gespräch so wenig Raum wie nötig ein. Es geht nicht um Dich, sondern um die Person, die sich outet und wie sie sich dabei fühlt und was sich in ihrem Leben verändert. Der beste Freund Deiner Schwester ist auch schwul? Du hast mal Brokeback Mountain geschaut und fandest die Story mega berührend? Good for you, aber das spielt jetzt gerade keine Rolle.
Google it!
Du möchtest Dich über Themen rund um LGBTQIA+ informieren? Dann begib Dich auf Recherche und benutze nicht Deine queeren Mitmenschen als Informationsquelle – vor allem nicht, wenn sie sich gerade bei Dir geoutet haben. Ein Coming-Out braucht viele persönliche Ressourcen und Du darfst nicht erwarten, dass die Person on top auch noch gratis Bildungsarbeit für Dich macht. Natürlich sind kleine Verständnis- und Rückfragen okay und vielleicht möchten die Personen sogar mit Dir über queere Themen sprechen. Aber dräng Dich nicht auf. „Magst Du über das Thema sprechen?“ ist immer ein guter Start.
Fehler passieren
Egal, wie bemüht Du bist, Dich korrekt zu verhalten – Dir werden Fehler passieren. Wir alle sind mit Stereotypen und Vorurteilen aufgewachsen und reproduzieren diese manchmal unbewusst. Es kann auch passieren, dass Du Personen misgenderst (also beispielsweise „sie“ sagst, statt „er“) oder sie aus Gewohnheit bei ihrem Deadname nennst, also beim alten Namen, den die trans Person abgelegt hat. All das ist unschön und schmerzhaft, auch wenn es nicht mit böser Absicht geschieht. Wichtig ist ein guter Umgang mit solchen Situationen. Entschuldige und korrigiere Dich, aber ohne der queeren Person ein schlechtes Gewissen zu machen oder zu lange auf der Situation herumzureiten – denn das verlängert die unangenehme Situation für die betroffene Person. Sehr wichtig, aber sehr schwierig: Lerne, mit Deinen Schamgefühlen umzugehen. Fehler sind unvermeidlich – wichtig ist, daraus zu lernen und nicht in Frust zu verfallen oder Dein unangenehmes Gefühl sogar an Deinem Gegenüber auszulassen.