Raus aus der Lustlosigkeit und rein ins Juicy Leben. Sexuelle Unlust bei Müttern und Frauen* ist nur eins der Tabus, die Sex Coachin Tina Molin bricht. Sie glaubt, manche Frauen haben sich noch nicht erlaubt herauszufinden, was ihnen wirklich Spaß macht. Was (Un)Lust mit Perfektion, Sixpacks und Vanilleeis zu tun hat, erfahrt ihr in diesem Gespräch.
AMORELIE: Für einen soft Start: Wer ist Tina Molin und was macht sie aus?
Tina hilft Frauen und Müttern, wieder in ein lustvolles Leben zu kommen. Es ist ja die Quadratur des Kreises, Mutter zu sein und auch noch lustvoll – aber es geht! Meist stecken sie in einem Leben, dass irgendwie passiert ist, aber das nicht zu ihnen passt. Meine Berufung ist es, Frauen und Müttern, dabei zu helfen, ihr Leben so zu bauen, dass sie wieder Bock darauf haben. Diesen Weg bin ich selbst gegangen und deswegen weiß ich, dass es möglich ist. In jeder Mutter schlummert eine lustvolle Frau. Wir müssen endlich die Glaubenssätze über Board werfen, dass eine Mutter immer nur das eine oder das andere sein kann. Die heilige oder die Hure. Die Mutter oder die Karrierefrau. Lustvoll oder verheiratet. Da muss man ganz viele eigene Tabus aufbrechen. Aber das Ergebnis bringt Frieden, Weiblichkeit und Freude in all ihre Beziehungen. Zu sehen, wie da ein ganzes System transformiert, heilt und wächst.
Eine Frau, die in ihrer Lust ist – nicht nur in der sexuellen, sondern in ihrer Lebenslust – das ist das Allerschönste.
Welche Stellung hat Sex in deinem Leben?
Sex ist natürlich sehr präsent in meinem Leben. Klar, es ist Teil meines Jobs, aber ich war schon immer an Sex interessiert. Mit 16 Jahren habe ich meinen Vater dazu überredet, mich mit zu Beate Uhse zu nehmen. Ich wollte einfach wissen, wie das ist und was es da so gibt (lacht). Mein Mann und ich reden viel über Sex. Wir tauschen uns viel darüber aus, schauen, was uns als Nächstes interessieren würde. Heute würde man Sex-Positive dazu sagen. Wir haben leider viel weniger Sex, als wir gerne hätten, einfach, weil wir ein Kind und beide ein Business haben und dauernd das Leben dazwischenfunkt. Letztens wollten wir auf eine Sexparty gehen, aber dann ist das Kind krank geworden und wir mussten wieder absagen. Für uns ist Sex etwas Aufregendes und Positives, womit wir uns einzeln, aber auch zusammen gerne beschäftigen.
Was bedeutet ein positiver Umgang mit Sexualität für dich?
Ich war kürzlich im Gespräch mit 18-jährigen Frauen, die sich gefragt haben, warum sie eigentlich Sex haben sollten, wenn sie doch noch keine Kinder wollen. Da ist mir bewusst geworden, dass wir verlernt haben zu kommunizieren, dass Sex so toll sein sollte, wie Vanilleeis mit Marshmallow-Topping, Schokosoße und was immer du noch drauf haben willst. Wir denken, wir müssten ihn haben, dass er irgendwie dazu gehört. Wir erwähnen Sex im Zusammenhang mit Aufklärungsarbeit und Verhütung. Das ist auch wichtig, aber die Wenigsten nehmen ihre Töchter in den Arm und sagen: „Hey, ich freue mich, dass das jetzt auf dich zukommt. Das ist wie Trampolin springen, Wasserrutsche rutschen und Vanilleeis mit Marshmallow-Toppings. Wie toll, dass das jetzt Teil deines Lebens wird. Hier ist ein Kondom, habe Spaß und erwarte großartiges.“ So sollten wir über Sex reden. Kinder gehen auf den Spielplatz, erleben sich, probieren sich aus und schlüpfen in verschiedene Rollen. Sie fühlen Dinge und fassen sie an. Das alles könnte Sex für uns auch sein: ein riesiger Abenteuerspielplatz. Wo wir uns mal in die Rolle des dominierenden oder des Zimmermädchens werfen. Wo wir ein neues Toy ausprobieren oder erleben, wie wir uns genieren oder lachen.
Eigentlich ist Sex eine große Party und wir haben nur verlernt, uns die Partyhütchen aufzusetzen und Vanilleeis bereitzustellen.
Viele Frauen kommen einmal in eine Lebensphase, in der sie keine oder nur noch wenig Lust auf Sex haben. Wie bist du damals mit Unlust umgegangen? Und wie gehst du damit heute um?
Also ich fand das mit der Unlust wirklich schwierig. Damals habe ich versucht, alle Situationen, in denen Lust zwischen meinem Mann und mir entstehen könnte, zu vermeiden. Das heißt: Ich bin früher ins Bett gegangen, früher aufgestanden oder angezogen aus dem Badezimmer gekommen. Das ist wirklich kein schönes Gefühl, wenn der Partner in Flammen steht und man selbst ist so kalt wie ein Kühlschrank. Ich habe mich geschämt. Mein Mann und ich haben das erst im Rückblick so richtig verstanden. Er hat sich zurückgewiesen und ebenfalls beschämt gefühlt, weil das natürlich auch was mit seiner Lust gemacht hat.
Heute ist es so, dass ich keine Unlust in diesem Sinne empfinde. Lust habe ich eigentlich sehr oft, nur funkt das Leben manchmal dazwischen. Und wenn ich mal keine Lust habe, dann sage ich das einfach: „Wir können es mal probieren, aber ich kann nicht versprechen, dass ich vom Kopf in den Körper komme, bin aber bereit, mich auf die Reise einzulassen.“ Oder wir haben beide Lust, aber dann kommt das Kind aus dem Kinderzimmer. Wir sehen das heute viel lockerer und nehmen es mit mehr Humor. Es sollte im Grunde selbstverständlich sein, dass man mal Unlust hat. Aber wenn es so auseinanderklafft, dass der eine auf dem Spielfeld steht und der andere nur noch an dem Spielfeldrand, dann ist das ein ganz scheußliches Gefühl.
Stichwort Veränderung: In deinem Buch »Endlich wieder Lust auf Sex« schreibst du: verstehen heißt nicht verkörpern. Was meinst du damit genau?
Anders gesagt: Ein Aha-Moment im Kopf ist noch keine Transformation. Du kannst alle Persönlichkeitsbücher der Welt gelesen und verstanden haben, aber wenn du nicht ins Tun, Umsetzen, Üben, Spüren, Korrigieren, Ausprobieren und Fühlen kommst, wirst du nicht in deine Sexualität kommen. Solange sich das Verstehen nur im Kopf abspielt und du nicht anfängst, das zu praktizieren. Du kannst alle YouTube Video zum Thema ‘wie bekomme ich einen Sixpack’ gesehen haben, aber wenn du die Hantel nicht hochhebst, wirst du nie zu deinem Sixpack kommen. Alle wollen eine super Sexualität, aber die allerwenigsten kommen in die Umsetzung. Das erlebe ich leider häufig. Frauen oder Männer, die denken, da geht nichts mehr. Ich will sie dann immer an den Schultern packen und sagen: „Doch, Sexualität ist erlernbar!“.
Manche Frauen denken „Ich will ja etwas ändern, aber …“ Das klingt immer einfacher als getan. Wie können sie es dennoch schaffen, nicht in Erwartungsdruck zu verfallen?
In dem man es als Prozess begreift. Wir überschätzen oft, was wir in einer Woche oder in einem Monat erreichen können und unterschätzen hingegen, was dafür in zwei oder drei Jahren möglich ist. Zeitlicher Erwartungsdruck oder das Gefühl, es muss jetzt alles ganz schnell gehen, ist nicht förderlich für den Prozess. Erlaube dir stattdessen, den Ball immer wieder aufzugreifen, Pausen zu machen oder mal mehr und mal weniger zu investieren. Auf deiner Reise entdeckst du dann ganz andere Schätze, die für dich bestimmt sind. Vertraue dir und dem Prozess. Und zwischendurch darf das Leben passieren.
Perfektion ist nur die Angst davor, nicht gut genug zu sein.
Würdest du ‘Fuck Perfektion’ unterschreiben?
Ja, total. Um ganz ehrlich zu sein – nichts ist perfekt. Perfektion ist nur die Angst davor, nicht gut genug zu sein. Gerade im Bett ist Perfektion ein echter Lustkiller. Weil man dann unter Erwartungs- und Leistungsdruck steht. Ich weiß, man kann das oft nicht abstellen. Der Moment, wo auf einmal die Lust weg ist und du nur noch an die To-do-Listen denken kannst. Es ist wichtig, in sich rein zu spüren und es hilft zu sagen: „Stopp, ich bin gerade raus, lass uns kurz Pause machen.“ Im besten Fall hast du auch noch einen Partner oder eine Partnerin an deiner Seite, die*der dir den Raum hält, für was immer da in dem Moment hochkommt.
Auf deinem eigenen Instagram-Kanal teilst du intime Einblicke mit deiner Community. Zum Beispiel, dass Du erst in deinen 30ern mit Solo-Sex angefangen hast. Oder dass du dir Sexfantasien selbst beigebracht hast (mit Pornos, die dich inspirieren). Wie ist dein Feedback auf dem Kanal?
Ich habe oft das Gefühl, eine Hälfte der Frauen ist in jungen Jahren dank Duschstrahl und Zufall in die Sexualität gepurzelt und hatte nie Probleme mit Orgasmen. Und der anderen Hälfte, der geht es wie mir. Selbstbefriedigung hat bei mir lange nicht stattgefunden, aus welchen Gründen auch immer. In meinen 30ern habe ich mir aber gedacht: Das geht nicht. Du kannst doch nicht ’ne emanzipierte Frau sein, im Job stehen, Motorrad fahren, aber beim Orgasmus bist du immer abhängig. Diese Gedanken, Erfahrungen und Entwicklungen zu teilen, ist toll. In meiner Community erlebe ich Erleichterung, weil sie, ebenso wie ich, nicht allein mit den Themen sind. Gerade bei Frauen in meinem Alter erlebe ich eine Art ‘Midlife Awakening’. Sie fragen sich: Was will ich noch in meinem Leben? Oft merken sie dabei, dass sie nicht den Sex haben, der ihnen wirklich Spaß bringt. Und dann haben sie jemanden wie mich, die sagt: „Hell yeah, ich habe auch erst mit 30 angefangen. Und in meinen 40ern noch eins draufgelegt!“ Das Stichwort ist: Sex worth wanting (Sex, von dem man nicht genug bekommen kann). Da ist auch AMORELIE ein super Buddy an der Seite, weil Solosex ein echter Gamechanger ist, um herauszufinden, was dir Spaß macht, was du willst und was dein Körper kann. Wenn du das weißt, dann kannst du das auch an deine*n Partner*in kommunizieren.
Falls Du es verraten darfst – arbeitest Du eigentlich an einem neuen Buch?
Tatsächlich arbeite ich an einem Konzept für ein neues Buch. Mehr kann ich nicht verraten. Aber es geht wieder um Sex, soviel ist klar. 😉
Vielen Dank für das Interview, liebe Tina!
Zur Person: Tina Molin ist 50, Sex Coachin, Autorin, Bloggerin und Gründerin von happyvagina.de. Seit der Geburt ihrer Tochter widmet sie sich verstärkt den Themen Sexualität, Lust und Weiblichkeit.
*Personen mit Vulva und alle weiblich gelesenen Personen