Sex ist toll. Sex macht Spaß. Sex ist wichtig für eine Beziehung. Wie oft es wichtig ist, sollte allerdings jeder für sich selber entscheiden und keine gesellschaftlichen Ideale. Oder seit wann sagt eine Zahl etwas über die Qualität unserer Beziehung aus?
Es gibt eine Sache die wir mit Delfinen und Bonobo-Affen gemeinsam haben, wir haben Sex nicht nur aus rein instinktivem Verhalten, sondern es ist Teil einer sozialen Interaktion. Sex unterliegt bei uns einem bewussten Entscheidungsprozess und drückt Zärtlichkeit, Zuneigung und Liebe aus (zumindest in einer Beziehung). Dennoch gibt es einen großen Unterschied zwischen uns und den Bonobos. Affen müssen sich nicht um Wocheneinkäufen, GEZ Mahnungen, Projektabgaben oder anderen sozialen Verpflichtungen kümmern. Diese führen nämlich immer öfter dazu, Sex einfach Sex sein zu lassen und so kann er auch schon mal in Vergessenheit geraten. Ganz anders als am Anfang der Beziehung, als wir es „wie die Affen“ immer und überall getrieben haben. Keine rote Ampel blieb ungenutzt, der Film wurde selten zu Ende geschaut und das Bett zum quietschen gebracht, bis die Nachbarn sich bemerkbar machten.
Nach 12-14 Monaten lässt die Lust ein wenig nach und der Sex wird weniger, der Alltag schleicht sich ein und wir werden gemütlicher.
Eigentlich völlig normal, würden nicht andauernd Artikel in Frauenzeitschriften, Sexratgeber und Statistiken versuchen uns auf die Nase zu binden, wie oft wir Deutschen uns durch die Laken wühlen sollten, damit wir als „normales“ und „glückliches“ Paar durchgehen. 1,5 mal pro Woche sagt die Statistik. Das baut nicht nur extremen Druck auf, sondern widerspricht auch unserer freien Lebensweise, in der wir normalerweise selber bestimmen was wir, wie oft wollen. Doch beim Sex scheint das anders zu sein. Hier lassen wir uns ganz schnell versunsichern von einer Zahl die offensichtlich ganz schön Eindruck hinterlässt und sich hartnäckig im Gedächtnis verankert.
Dabei wissen wir natürlich, dass das gar keinen Sinn macht, Glück und Liebe von einer Zahl abhängig zu machen. Natürlich nicht, doch wie bei einigen anderen Dingen streben wir manchmal danach, aus unerfindlichen Gründen, einen konstruiertem Richtwert zu verfolgen. Ein Richtwert der einem gesellschaftlichem Mythos nachempfunden wird. Und so kommt es, dass wir uns plötzlich den Kopf zerbrechen, ob in der eigenen Beziehung denn auch wirklich alles ok ist, wenn man das alte Rein-Raus-Spielchen nur drei mal, vier mal oder vielleicht sogar nur ein mal pro Monat spielt. Klingt nicht besonders oft und ist es wahrscheinlich auch nicht.
Aber müssen wir deshalb unsere Beziehung in Frage stellen?
Ja vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Denn eigentlich sind wir doch glücklich damit, wie wir als Paar leben und Gründe dafür, warum in letzter Zeit nur gekuschelt wurde, können die unterschiedlichsten sein. Stress im Job, Babyalarm, Krankheit, Fernbeziehung oder Mann und Frau haben schlichtweg einfach keine Lust. Mit Freunden darüber zu reden, versuchen wir oftmals zu vermeiden, aus Angst mit der fälschlichen Wahrheit konfrontiert zu werden. „In eurer Beziehung stimmt etwas nicht!“ Denn diesen Mythos versuchen die Medien uns zu vermitteln, dass wenig Sex ein Indikator für eine nicht funktionierende Beziehung ist. Fakt ist, wir haben jeden Tag mit einer Menge von Dingen zu dealen, die uns mal mehr mal weniger abverlangen und dabei fühlen wir uns nicht rund um die Uhr irre sexy oder geil wie Nachbars Lumpi. Um so schöner ist es einen Partner an der Seite zu haben, der auch das nicht von einem erwartet, sondern für einen da ist. Mit Rat und Tat zur Seite steht. Auch das ist Liebe und Zuneigung, nur ohne Ejakulat, aber mit genau so viel Happy End.
Lässt man die Hemmungen also, nach dem fünften Glas Wein, doch mal fallen und tauscht sich mit den liebsten Freunden aus, wird schnell klar, auch woanders wird mehr gekuschelt, als das es ständig in der Kiste rappelt. Jedes Paar hat unterschiedliche Bedürfnisse, Lebensumstände und empfindet mal mehr, mal weniger Lust. Doch eins haben alle gemeinsam, sie fühlen sich in ihren Beziehungen glücklich und geborgen.
- Da gibt es zum Beispiel die Freundin mit Baby; „Seit wir zu dritt sind hat sich unser Sexleben verändert, das läuft jetzt viel geplanter ab, mit Verabredungen. Spontan ist schwierig. Genau so wie die ersten Wochen nach der Geburt. Der schwabbelige Bauch, gerissene Haut und Damm, Milch läuft ständig aus. Aber darüber sprechen tut kaum jemand. Nah sind wir uns trotzdem immer.“
- Das Paar mit den zwei Jobs und den unterschiedlichen Diensten; „ Wir sind meistens total fertig von der Arbeit und verschwenden dann absolut gar keinen Gedanken an Sex. Das wird beide mal ausgeschlafen und geil sind, passiert eher selten. Da sind Urlaube schon deutlich effektiver. Trotzdem gibt es für uns keinen Grund unsere Beziehung in Frage zu stellen.“
- Es gibt den Kumpel mit den Depressionen; „Für mich ist Geborgenheit so viel wichtiger als Sex. Wenn man krank ist, dann rückt die Priorität Sex ziemlich weit nach hinten. Es gibt andere Dinge die scheinbar eine größere Rolle spielen. Trotzdem glaube ich dass ich ein sehr sexueller Mensch bin.“
- Und die gute Freundin, die einfach keine Lust auf Sex hat; „Sex spielt in meinem Alltag und in meinem Kopf einfach keine Rolle. Ich verspüre keinerlei Lust. Ich glaube nicht dass das Auswirkungen auf unsere Liebe hat, wir reden offen darüber und sind glücklich.“
Liebe und Geborgenheit kann auf unterschiedliche Art und Weise gezeigt und ausgetauscht werden und wichtig ist doch am Ende nur, wie wohl wir uns mit unserem Partner fühlen. Also bitte bitte keinen Druck verspüren und einem geheuchelten Ideal nachjagen, was vielleicht für viele da draußen so passt. Aber halt eben nicht für jedermann. Mal ist es der liebevolle Kuss auf die Stirn, eine Umarmung von hinten, während wir am Waschbecken stehen und Zähne putzen oder das nächtliche auf die Pelle rücken, bis man fast aus dem Bett fällt. Nähe und Zuneigung ist ständig da, mal sichtbar mal kaum wahrnehmbar. Und ab und an eben in Form von Sex. Der absoluten Form von Intimität. Aber eben nur so oft, wie es sich gut und richtig anfühlt. Und das kann nur jeder für sich entscheiden.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Refinery29
Autorin: DANIELA WILMER