Tinderwahn

Ich tindere jetzt auch…ja, oh wow – ich bin wahrscheinlich die Eine-Million-und-Erste, die jetzt auch auf den Trichter gekommen ist. Na, herzlichen Glückwunsch! Ja, was soll ich sagen: Es gibt immer eine/n, der nachzieht.

Warum jetzt, warum Tinder und warum überhaupt? Ehrlich?! Mir ist einfach mega langweilig. Außerdem arbeite ich Vollzeit, bin viel unterwegs und lerne Menschen nicht gerne im Club kennen, zumal ich sowieso nicht mehr so oft weggehe – ich vertrage Alkohol nicht besonders gut. Apps dagegen sind kein Problem.

So, Tinder ist runtergeladen und ich bin aufgeregt. Immerhin schalte auch ich mein Profil auf sichtbar – gleiches Recht für alle, würde ich sagen, oder? Und dann geht’s auch schon los…Es ist ja das bekannte Spiel: Interesse – nach rechts, kein Interesse – nach links wischen. Mittlerweile gibt es sogar Superlikes oder die Möglichkeit zurückzuwischen. Und diese Option ist ja mal wahnsinnig spannend. Denn gerade beim hochmotivierten Wischmarathon, den man Abend für Abend auf der Couch hinlegt, passiert es doch oft, dass man in seinem Wischeifer den ein oder anderen interessanten Match übersieht…Oh…bekommt man nur mit Abo?! Mist.

Anderthalb Stunden und einen Fingerkrampf später habe ich ca. 10 Matches und bereits eine Nachricht auf meinem Konto. Ist doch schon mal nicht schlecht. Mal sehen, was die nächsten Tage so bringen.

Zwei Tage später – erster Zwischenstand:

  1. Die Körpergröße scheint mittlerweile sehr wichtig zu sein. Entweder sie wird sofort auf dem Profil angegeben oder sie ist immer eine der ersten Fragen, die im Chat folgt. Ich wäre wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee gekommen, zu fragen. Vielleicht interessiert es mich nicht so sehr, weil ich klein bin und es sowieso kein großes Kunststück ist, größer als ich zu sein.
  2. Ich merke, es gibt Jäger und Sammler. Während manche Matches mir schon nach wenigen Sekunden eine private Nachricht zukommen lassen, schweigen andere beharrlich und reagieren nicht mal auf ein proaktives, unverbindliches  “Hallo”. Schon klar, dass diese Herren direkt nach einer angemessenen Schonfrist gelöscht werden. Welche Frau hat schon Lust, die ewige Jägerin zu sein? Ich stelle mir immer vor, dass diese Herren der Schöpfung vorsichtshalber mal die ganze Tinderliste wegliken, um dann abends vor dem Schlafengehen ihre Trefferliste durchzusehen und dann mit einem befriedigten Lächeln schlafen zu gehen, weil sie sehen, dass sie eben doch Optionen haben.
  3. Ich wische viel öfter nach links als nach rechts (Verhältnis 100:1…na, das kann ja was werden…).
  4. Ich muss langsamer wischen (keine Lust auf ein Abo).
  5. Ich bin selbst kein Freund von Schubladendenken, aber es lassen sich bereits erste Muster bei den vorgeschlagenen Herren entdecken.

Typ 1: DER ANONYME

Diese Spezies zeigt eigentlich alles. Alles bis auf sein Gesicht. Da muss dann schon mal das geliebte Haustier, das Mittagessen oder auch das Fahrrad herhalten. Super beliebt sind auch Urlaubsfotos mit einer schönen Aussicht. Ohne Mann drauf. Dumm nur, dass ich nicht auf der Suche nach meinem nächsten Urlaubsort bin, sondern lieber ein Profilbild sehen will. Auch super sinnbefreit: Nur ein Foto auf dem man seinen Hinterkopf sieht: Oooh, schöner Hinterkopf – wollen wir uns treffen?! Also ehrlich, wenn du nicht bereit bist, ein Foto von dir reinzustellen, bist du falsch bei Tinder, mein Freund.

Typ 2: DER GESCHICKTE

Wenn dann mal ein Gesicht zu sehen ist, kann es durchaus sein, dass es ziemlich geschickt verdeckt, gut positioniert oder mindestens bis zur Hälfte nicht zu erkennen ist. Entweder er trägt auf allen fünf Fotos eine Sonnenbrille, zeigt nie Zähne, zieht Grimassen oder die Fotos zeigen sein Gesicht immer aus ungewohnten Positionen, z.B. liegend oder von oben herab aufgenommen. Sorry, aber diesen Fehler mache ich nur einmal. Meist sehen die Herren im realen Leben nicht annähernd so aus. Außer im Liegen. Naja, wie gesagt, schlechte Voraussetzungen für ein aktives Miteinander.

Typ 3: DER FREIZÜGIGE

Dieser “Tinder-Adonis” denkt sich wahrscheinlich: Was bei Frauen klappt (nämlich viel Haut zeigen), muss bei Männern doch auch funktionieren. Dementsprechend wird man dann direkt auf dem ersten Foto mit einem nackten Oberkörper in zerfetzten Jeans überrascht, konfrontiert oder erschreckt – je nachdem, wie man’s nimmt. Oder einem nackten Oberkörper nur in Unterwäsche. Oder beides…in Kombination und nacheinander.

Typ 4: DER PERFEKTIONIST

Ich denke, die meisten Frauen verstehen diesen Punkt ziemlich gut. Wir, die Selfie-Gangster, wissen eben, wo unsere Schokoladenseite sitzt. Wozu jemals eine andere Gesichtshälfte herzeigen? Immer gleiche Pose, nur der Hintergrund wechselt.  Schade nur, dass ich ihn kaum wiedererkannt habe, als er dann vor mir stand. Also, die eine Gesichtshälfte schon. Nur den Rest nicht so.

Typ 5: DER KONDITIONSSPORTLER

Man sieht nichts anderes als ihn beim Sport machen: beim Radrennsport, beim Snowboard, beim Wasserski… Fehlt nur noch, dass er Nichtraucher und Veganer ist – nein, danke. Ich als Sportmuffel und Sympathisantin des joie de vivre beziehe hier eine ganz klare Stellung: Auf gar keinen Fall kommt mir sowas nach Hause! Ich möchte mich doch nicht schlecht fühlen müssen, wenn ich mir zu meinem Feierabend-Weinchen eine Feierabend-Zigarette gönne. Oder ein Drei-Pfund-Steak. Das ist mir dann doch zu gesund.

Typ 6: DER ANGEBER

Der Angeber zeigt gerne, was er hat. Meist fängt sein Profil mit Angaben zu seiner Berufsbezeichnung an, wie: Entrepreneur, CEO oder Gründer. Echt jetzt?! Funktioniert das noch bei irgendwem?! Auch extrem “schlau”: Fotos mit anderen Frauen. Was soll uns das bitte sagen? Dass ihr so hot seid, dass ihr tatsächlich nicht mal Tinder bräuchtet, weil ihr auch so schon tolle Frauen in eurem Leben habt oder ist es eine Kampfansage à la  “schaut euch meine Ex an – so heiß musst du erstmal sein”?!  #weirdo

Typ 7: DIE GRUPPENFOTOS

Ach, wie ich diese Gruppenfotos liebe…not. Wirklich, ist das euer Ernst, liebe Männer?! Wie soll man euch bitte aus einer Gruppe von 5 Männern erkennen? Oder darf ich mir jetzt einen aussuchen?

Typ 8: DER HIPSTER  

Gern mit Schur- oder Vollbart. Der Hipster – ein Partygänger durch und durch. Jeder Dritte ist übrigens DJ. Meist ist das Profil mit Zitaten unterlegt wie sleep is overrated oder commercial. Und wenn dann noch in den Interessen Folgendes steht: Berlin | Food | Travel | Goodlife | Fashion |Berghain, weißte einfach Bescheid. Ich finde es übrigens auch bedenklich, dass gefühlt jeder dritte Mann in Berlin einen Vollbart trägt. Sagen wir, er säbelt sich seinen Vollbart nach einem halben Jahr ab, dann besteht einfach die Gefahr, dass ich ihn nicht wiedererkenne! Hand auf’s Herz – man sieht die HÄLFTE eures GESICHTS nicht, Männer! Da kann so einiges zutage kommen, wenn der gut gehütete Gesichtsteppich mal weg ist..was, wenn mir sein Kinn nicht gefällt oder oder oder?? Ist ja nicht so, als sei dieser Part irgendwie sekundär.

TYP 9: DIE PAARE

Paare, die zusammen ein Abenteuer suchen, eine ménage à trois, einen Dreier sozusagen. Meist findet man in diesem Zusammenhang ein Foto mit beiden zusammen, dann eines von ihr allein, eines von ihm und dann nochmal beide in sexy Pose. Geht natürlich auch unpersönlich als super verruchte Variante mit relativ wenig Latex, ziemlich viel Haut und ohne Gesicht. Warum nicht auch das. 

Nach einer Woche wird mir bewusst, es wird kompliziert. Ich komme langsam durcheinander mit den ganzen Daniels, Johanns und Martins dieser Welt. Wer hatte nochmal BWL studiert und wer Biochemie? Hatte Paul drei Geschwister oder Tom?! Und wer war nochmal frisch aus Hamburg hergezogen? Ich muss ehrlich zugeben: So spannend es am Anfang auch war, Stunden damit zu verbringen, potenzielle Partner auszusortieren und mit ihnen zu schreiben, das Ego aufzupolieren oder einfach zu schauen, wen man aus dem Bekannten- oder Freundeskreis dort entdeckt, gerade bin ich etwas überfordert und Überforderung äußert sich bei mir zwangsläufig immer in Desinteresse…der nächste Vorschlag kommt halt immer. Menschen treffen ist mittlerweile eben auch ein vollkommen austauschbares Ereignis geworden. Warum sich überhaupt für jemanden entscheiden, wenn die bessere Alternative vermeintlich immer nur eine Fingerbewegung nach rechts wartet?! Naja, erstmal weiter swappen und schauen.

Besonders die Profilbeschreibungen unter den Fotos haben es mir angetan. Natürlich findet man auch hier alles mögliche: angefangen von ganzen Steckbriefen, bis hin zu gar keiner Information. Nützlich finde ich Eckdaten zum jeweiligen Menschen: macht gern Sport, Nichtraucher, steht auf kleine, zierliche Frauen etc.

Für meinen Geschmack eher unnötig: schmalzige Sprüche oder kitschige Zitate. Oder auch folgende Beispiele:

  • “Wir können einfach sagen, wir hätten uns bei Lovoo oder Spotted kennengelernt!”  ….das macht’s leider nicht besser, Hase..
  • “Kann alles, muss nichts 😉 <3  ” ……da kannste noch so viele Emoticons hinterher schieben, dat wird nix mein Freund.
  • “Gerade ein wenig schreibfaul. Schreib du mir einfach:)”  …mmhhmmm…Ja, sicher..bin gerade super motiviert.
  • Auch total motivierend: wenn seine eigene Profilbeschreibung “Difficult” lautet.
  • “Wenn du offen bist und Lust auf ein gutes Nebeneinkommen hast, meld dich doch mal bei mir.” ….Aha. Sicher.

Es gibt aber auch positive Überraschungen. Hier ein herzerwärmendes Beispiel von einem Teddybär mit Hundeblick:  “Lieb, nett und anständig…. Suche Freunde.” Aaaaaawwwwwww….wie süß!

Was soll ich sagen?! So schlimm, wie alle sagen, finde ich Tinder gar nicht. Ich hab es mir schlimmer vorgestellt. Im Gegensatz zu vielen Medien, denke ich auch nicht, dass Tinder Schuld ist am Untergang der Romantik – das fing meiner Meinung nach bereits an, als die ersten sozialen Netzwerke wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Es sei alles so oberflächlich geworden. Alles Quatsch. Denn was macht man bei Tinder? Wenn man jemanden heiß findet, dann wischt man nach rechts, wenn nicht, dann nach links. Aber, mal ehrlich: Was tun wir denn bitte, wenn wir in den Club gehen? Wir schauen uns um, und zwar im besten Fall in die Gesichter. Und wenn wir das tun und uns eines dieser Gesichter gefällt, dann sind wir offen für mehr. Nichts anderes bietet uns Tinder.

Nach gut vier Wochen Tinderella-Dasein kann ich bestätigen: Tinder funktioniert. Wer nichts Bestimmtes sucht, findet auf Tinder mehr als genug davon. Das kann eine Zeit ganz nett sein, mehr aber auch nicht.

T.

Geschrieben von
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