Kategorien helfen uns, die Welt um uns zu ordnen, zu verstehen und uns zu verständigen. Ganz natürlich scheinen wir dabei die Dinge binär – also in zwei Gruppen – zu unterteilen: Tag und Nacht, ja und nein, laut und leise – männlich und weiblich. Entweder oder. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es sich bei dieser Aufteilung gar nicht um eine Dichotomie, eine Aufteilung mit nur zwei möglichen Zuordnungen handelt, sondern eher um ein Spektrum mit zwei Polen. Und zwischen diesen gibt es eine ganze Menge Platz für Zwischentöne, für Morgengrauen und Dämmerung, für jein und vielleicht; für non-binäre Geschlechtsidentitäten, die nicht klar männlich oder weiblich sind.
Wo es Grauzonen gibt, tauchen Unsicherheiten auf – und damit leider auch oft Unverständnis und Ablehnung. Das Thema „Nonbinarität“ ist tatsächlich komplex und vielschichtig und stellt vieles infrage, was wir bisher als selbstverständlich angesehen haben. Umso wichtiger ist Aufklärung, um Verständnis zu schaffen.
Deshalb erfährst Du hier, was non-binäre Geschlechtsidentität alles umfasst, welche Falschannahmen es dazu gibt und weshalb es für Betroffene so wichtig ist, dass ihre Genderidentität ernst genommen und anerkannt wird.
Berühmte Personen wie Demi Lovato, Sam Smith und nicht zuletzt Eurovision-Star Nemo bekennen sich öffentlich dazu, non-binär zu sein. Das Bewusstsein für geschlechtliche Vielfalt wächst stetig. Als Folge befassen sich immer mehr Personen mit ihrer geschlechtlichen Identität und verorten sich selbst nicht mehr als eindeutig männlich oder weiblich, benutzen they/them- oder andere neutrale Pronomen und setzen sich dafür ein, dass ein dritter Geschlechtseintrag für non-binäre Menschen offiziell anerkannt wird. Damit stoßen sie oftmals auch auf Unverständnis und Ablehnung.
Geschlecht: neues Verständnis, neue Fragen
Das Verständnis von Geschlecht hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und Veränderung kann überfordern – insbesondere wenn sie ein so grundlegendes Prinzip wie Geschlecht betrifft, das unser Leben auf so vielen Ebenen stark prägt. Menschen fühlen sich überrumpelt davon, dass es „plötzlich“ mehr Geschlechter als „Mann“ und „Frau“ gibt und sie nicht nur ihren Sprachgebrauch, sondern auch ihr Weltbild anpassen sollen.
Nachvollziehbarerweise kommen dazu viele Fragen auf: Was genau ist dieses dritte „diverse“ Geschlecht? Oder sind es sogar noch mehr? Benutzen non-binäre Menschen nun gar keine Pronomen oder doch they/them und wie verwendet man diese überhaupt? Sind non-binary Personen trans*? Die Antworten sind zwar nicht immer ganz klar und eindeutig, aber wann ist das schon einmal der Fall? 😉 Komplexität kann fordernd sein, aber genauso faszinierend und ein wunderbarer Anreiz, um andere Perspektiven einzunehmen und Neues zu lernen.
Glossar
- Enby: non-binäre Person, abgeleitet von der Abkürzung „NB“
- Gender: (engl.) soziales Geschlecht, Geschlechtsidentität, als Abgrenzung zu biologischem Geschlecht („sex“)
- Genderqueer: wird of als Synonym für „non-binär“ verwendet
- Pronomen: Drücken aus, wie eine Person angesprochen werden möchte. Neben „er“ und „sie“ gibt es weitere, geschlechtsneutrale Pronomen wie „they“, „xier“ oder „hen“
- Sex: (engl.) biologisches Geschlecht, als Abgrenzung zum sozialen Geschlecht („gender“)
- Trans*: das bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht stimmt nicht mit der Geschlechtsidentität überein
Non-binary: (k)ein Zusammenhang zwischen Identität und Körper
Was genau bedeutet es denn nun, sich als „nicht-binär“ zu identifizieren? Die Antwort darauf ist facettenreich, denn „non-binär“ ist ein Sammelbegriff für verschiedenste Geschlechteridentitäten, die jedoch eines gemeinsam haben: Sie befinden sich alle außerhalb oder zwischen den beiden Kategorien „männlich“ und „weiblich“.
Doch worauf genau beziehen sich diese Kategorien eigentlich? Sprechen wir dabei von Körpern, davon, wie sich jemand fühlt oder etwas ganz anderem? Verwirrung ist nachvollziehbar, denn mit dem Begriff „Geschlecht“ benennen wir umgangssprachlich verschiedene Aspekte und es ist manchmal schwierig, diese Bedeutungen voneinander zu trennen oder sie zueinander in einen Kontext zu stellen.
„Geschlecht“ kann vieles bedeuten
Mit „Geschlecht“ können beispielsweise biologische Aspekte wie Körpermerkmale oder Chromosome gemeint sein (auf Englisch wird diese Bedeutung von Geschlecht „sex“ genannt). Aber auch soziale Faktoren wie Geschlechterrollen, wie sich ein Mensch ausdrückt oder eben die Geschlechtsidentität – also wie eine Person sich fühlt (auf Englisch „gender“). Nonbinarität bezieht sich lediglich auf diesen Aspekt. Es spielt bei Geschlechtsidentitäten keine Rolle, welche körperlichen Merkmale eine Person aufweist oder ob sie sich „weiblich“ oder „männlich“ ausdrückt. Betrachtet wird lediglich, mit welchem Geschlecht sich ein Mensch (nicht) zugehörig fühlt.
Konkret bedeutet das: eine Person mit Vulva und Brüsten, die sich feminin ausdrückt – sich beispielsweise als weiblich gelesen kleidet oder schminkt – kann sich trotzdem als non-binär identifizieren. Umgekehrt können sich intergeschlechtliche Personen, die beispielsweise sowohl mit Hoden als auch Vulvalippen geboren wurden, trotzdem klar als männlich oder weiblich identifizieren, sich entsprechend ausdrücken und müssen nicht non-binär sein.
Körpermerkmale können dennoch eine wichtige Rolle spielen und zu sogenannter „Gender-Dysphorie“ führen, einer belastenden Inkongruenz zwischen Körpermerkmalen und dem gefühlten Geschlecht. Es gibt beispielsweise non-binäre Menschen, die sich mit ihren Brüsten nicht wohlfühlen; dennoch identifizieren sie sich deshalb nicht als Mann. Geschlechtsangleichende Hilfsmittel und Maßnahmen können deshalb wichtig und sogar lebensrettend sein für non-binäre Menschen, denn sie helfen genderqueeren Menschen dabei, ihr erlebtes Geschlecht auch körperlich auszudrücken, wenn sie den Wunsch danach haben. Es gibt beispielsweise genderfluide Menschen: Personen, die ihr Geschlecht zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich empfinden und ausdrücken möchten.
Nonbinarität: Weshalb ist Anerkennung so wichtig?
Dem Konzept Nonbinarität begegnen viele Menschen noch mit Skepsis – unser Leben ist schließlich seit Geburt von einem binären Geschlechterverständnis geprägt. Doch auch, wenn man das Konzept (noch) nicht versteht oder gar befremdlich findet: Alle Menschen haben es verdient, in ihrer Identität ernst genommen und respektiert zu werden. Non-binäre Menschen existieren. Diese Tatsache lässt sich nicht abstreiten – insbesondere, da sie auf einem persönlichen Empfinden und Erleben des eigenen Geschlechts beruht. Außenstehende können nicht entscheiden, ob und wie ein anderer Mensch empfindet.
Wenn wir die Existenz von Nonbinarität anerkennen, müssen wir ebenso einsehen, dass es in unserer zweigeschlechtlich geprägten Welt oftmals keinen Platz für non-binäre Menschen gibt und dass sie sich in eine Box zwängen müssen, in der sie sich nicht wohlfühlen – und in der sie oft nicht akzeptiert werden.
Non-binär: sichere Räume fehlen
Nehmen wir das viel zitierte Beispiel der öffentlichen Toiletten: Gibt es nur Männer- und Frauen-Klos, müssen sich Enbys für eine der beiden Optionen entscheiden, obwohl ihnen keine entspricht. Jeder Gang zur öffentlichen Toilette wird so zu einer schmerzhaften Erinnerung daran, dass ihre Identität gesellschaftlich nicht anerkannt wird. Je nachdem, wie eine Person gelesen wird und sich präsentiert, wird sie in solchen Räumen auch von anderen Menschen als deplatziert wahrgenommen, schlimmstenfalls angefeindet und bedroht. Eine non-binäre Person, die aufgrund von Körpermerkmalen männlich gelesen wird, sich aber feminin ausdrückt, muss so damit rechnen, sowohl auf der Herren- als auch der Damentoilette unwillkommen zu sein. Diese Erfahrung müssen übrigens auch viele trans Männer oder Frauen machen. Eine Möglichkeit, Betroffenen die Last abzunehmen, sind beispielsweise All-Gender-Toiletten.
Gewalt gegenüber queeren Menschen nimmt zu und viele Menschen stehen non-binären Personen negativ gegenüber. Genau deshalb ist es wichtig, nicht nur geschlechtsneutrale Räume zu schaffen, sondern auch aktiv die geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen, sie zu repräsentieren und normalisieren und darüber aufzuklären. Dazu ist es besonders wichtig, dass sich auch Nichtbetroffene starkmachen. Wie Du unterstützen kannst, erfährst Du in unserem Artikel zu „Allyship“.
Nonbinarität: weder Trend noch neues Phänomen
„Es gibt in der Natur nur Mann und Frau, das war schon immer so und wird immer so bleiben“ wird oftmals als Argument verwendet, um Nonbinarität zurückzuweisen. Faktisch ist dies aus vielen Gründen falsch; wer mit Chromosomensätzen, Körpermerkmalen oder Keimzellen argumentiert, wird in der Natur viele Gegenbeispiele finden. Auch die Behauptung, dass es sich bei Genderqueerness um einen neumodischen Trend handle, ist schlichtweg falsch. Es gibt bereits aus dem antiken Mesopotamien Überlieferungen zu non-binären oder transgender Figuren und verschiedene nordamerikanische indigene Bevölkerungsgruppen kennen das Prinzip von sogenannten „Two-spirits“: Menschen, die sich als weiblich und männlich identifizieren. Das Prinzip ist also nicht neu und ganz bestimmt kein TikTok-Trend. Menschen trauen sich lediglich mehr, über ihr Erleben und ihre Bedürfnisse zu sprechen – oder sie erkennen sie durch den vermehrten Diskurs überhaupt.
Non-binär: welche Pronomen verwenden?
Non-binäre Geschlechtsidentitäten sind vielfältig – wie spricht man non-binäre Menschen also korrekt an? So wie sie es sich wünschen! Es gibt unterschiedliche Pronomen und Vorlieben, die von Person und Identität abhängig sind. Die neutralen Pronomen they/them, oder andere geschlechtsneutrale Neopronomen wie das Deutsche „dey/deren“ oder „xier“ bzw. „sier“ wurden zwar eingeführt, um non-binäre Personen passender anzusprechen, allerdings solltest Du nicht einfach davon ausgehen, dass alle non-binäre Menschen diese verwenden. Einige Enbys möchten lieber, dass keine Pronomen benutzt werden, andere verwenden mehrere oder haben wechselnde Präferenzen und wiederum andere benutzen weiterhin „sie“ oder „er“.
Am besten erkundigst Du Dich danach, wie eine Person angesprochen werden will. Wenn Du unsicher bist, wie die Pronomen genau angewendet werden, darfst Du auch respektvoll nachfragen. Damit zeigst Du, dass Du gewillt bist, zu lernen und die Person richtig anzusprechen. Wenn Du trotzdem einen Fehler dabei machst, entschuldige Dich kurz und korrigiere Dich ohne große Ausschweifungen. So bringst Du die Person nicht in eine unangenehme Situation, in der sie sich schuldig fühlt und als hätte sie Dir Umstände gemacht. Fehler passieren. Das ist zwar unangenehm, aber lässt sich manchmal nicht vermeiden und Du machst es für die Betroffenen zumindest etwas besser, wenn Du signalisierst, dass es Dir leid tust und Du ihnen Respekt zeigst. Bist Du unsicher, wie Du Dich verhalten sollst, wenn sich jemand bei Dir outet? In unserem Guide zu Coming-Outs findest Du Dos & Donts.
Sind non-binäre Menschen trans*?
Trans* Personen identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Gemäß dieser Definition sind non-binäre Personen transgender, zumindest wenn ihnen entweder das Geschlecht „weiblich“ oder „männlich“ zugewiesen wird. Allerdings gibt es auch Länder, die ein drittes, diverses Geschlecht anerkennen – auch wenn wir gesehen haben, dass Nonbinarität mehr als ein homogenes drittes Geschlecht umfasst. Dementsprechend kann man Enbys unter diesen Umständen als cis-gender verstehen. Es gibt viele non-binäre Personen, die sich als trans* identifizieren, jedoch tun dies nicht alle. Dies ist abhängig davon, welche Genderidentität eine Person für sich beansprucht und welches Label sie sich selbst geben möchte.