Am 27. Juli ist CSD in Berlin – und Drag Queen und DJane Rosetta Bleach wird auf dem Truck von AMORELIE für gute Musik und noch bessere Laune sorgen. Aber was macht eine erfolgreiche und bekannte Drag Queen eigentlich, wenn sie nicht auf der Bühne steht? Sie arbeitet als Video Producer bei AMORELIE – beziehungsweise Marcel tut es. Was ihn auf die Bühne zieht, was ihn am Drag reizt und wie seine Familie darauf reagiert hat, erzählt er uns in einem sehr persönlichen Interview. Außerdem erhalten wir Einblicke in die Berliner Drag-Szene, Tipps für gelungenes Make-up und erfahren, wie Mann den Penis für den perfekten Look verschwinden lässt.
Drag Queen Rosetta Bleach im Interview
Hallo, schön, dass Du Dir Zeit genommen hast für ein Interview mit uns. Kannst Du vorweg bitte einmal erklären, was Drag genau ist und wie sich der Begriff etwa von Transgender oder Transvestit abgrenzt?
Drag ist ein nicht geschlechtsgebundener visueller Kunststil, bei dem Geschlechternormen und -rollen drastisch überzeichnet werden. Es geht zum größten Teil darum, auf auffällige Art und Weise aufzutreten, normalerweise als das andere Geschlecht des Performers, was aber nicht immer der Fall sein muss. Es geht bei Drag um Show und Entertainment. Aber es ist auch für viele ein Mittel, um sich politisch zu engagieren. Ein Transvestit ist eine Cisgender-Person (Anm. d. Red. eine Person, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde), die sich als das andere Geschlecht verkleidet, oft als eine Art Fetisch. Transvestitismus ist gleichbedeutend mit allgemeinem Crossdressing. Transgender bezeichnet Menschen, deren äußerliche Geschlechtsmerkmale und damit das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht, dem sogenannten Identitätsgeschlecht, übereinstimmen.
Jetzt zu Dir: Seit wann bist Du Rosetta Bleach und wie kam es dazu, dass Du eine bekannte Berliner Drag Queen wurdest?
Was viele nicht wissen: Rosetta erschien erstmals 2009 und feierte 2 Jahre lang ohne große Ambitionen durch die Berliner Clubs. Als ich müde vom Partyleben wurde, habe ich mich entschlossen, mich auf meine Karriere als Filmemacher zu konzentrieren. Bis Dezember 2017 verstaute ich Rosetta im Tiefkühler und entdeckte bei einer AMORELIE Weihnachtsfeier meine Leidenschaft für Drag wieder. An Silvester ging ich erneut in Drag aus und lernte meine zukünftige Drag-Schwester Lucyfer kennen. Gemeinsam motivierten wir uns, mehr erreichen zu wollen, als nur betrunken in High Heels durch die Clubs zu wanken. Mit der Zeit wurden meine Fähigkeiten und Looks besser und das stieß auf große Resonanz auf Instagram und in den Clubs.
Worin liegt für Dich der Reiz, Dich als Drag Queen aufzustylen und zu performen?
Es ist eine weitere Möglichkeit mich kreativ auszuleben, aus dem Büroalltag auszubrechen und neue Inspirationen zu sammeln. Seitdem ich wieder aktiv als Queen tätig bin, lerne ich unglaublich viel über mich, weil ich öfters meine Komfortzone verlasse. Natürlich genieße ich auch die Aufmerksamkeit, wenn ich auf der Bühne stehe.
Ich kenne Dich als eher ruhigen, zurückhaltenden Kollegen – wie kommt es, dass Du Dich auf der Bühne vor vielen Menschen so wohlfühlst?
Wer behauptet, dass ich mich wohlfühle? Haha. Mir macht es unglaublich viel Freude, während mir schlecht vor Aufregung wird, andere zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Aber nach 1-2 Minuten auf der Bühne verfliegt das Durchfall-Gefühl.
Was ist das Beste und das Schlimmste am Drag-Queen-Dasein?
Das Beste ist, dass man unglaublich viele interessante Leute kennenlernt, gratis Drinks und Eintritt in Clubs bekommt und ich mich (trotz Corsage) irgendwie freier und selbstbewusster fühle. Das Schlimmste ist Gossip. Gossip kann ganz schnell deine Karriere als Drag Queen ruinieren, weil jeder jeden in der Szene kennt und dadurch entsteht sehr viel Oberflächlichkeit zwischen den Queens.
Schlimm sind auch die Leiden, die die Kunstform mit sich bringt: 18 cm High Heels, eine Corsage und Wimpernkleber im Auge, gehen nicht spurlos an einem vorbei. Für den CSD habe ich mir nun auch noch die Augenbrauen abrasiert, da ich diese sonst immer mit Kleber abdecke, der sich sonst bei den Sommertemperaturen auflöst und alles ruiniert, um größere Augenbrauen zu schminken. Die Leute starren mich nun immer an, wenn ich ungeschminkt bin, und versuchen herauszufinden, was an meinem Gesicht nicht stimmt.
Viele Drag Queens tucken. Kannst Du uns erklären, was es damit auf sich hat, wie genau es funktioniert und ob es schmerzhaft ist?
Über jedem Hoden befindet sich eine Höhle im Beckenboden, der sogenannte Leistengang, dort schiebt man die Hoden rein. Danach zieht man den Penis nach hinten. Dann klebt man mit ein paar großen Stücken Tape von vorn bis nach hinten alles fest. Zack, ist alles verschwunden! Es empfiehlt sich, davor zu rasieren. Da mir persönlich das zu aufwendig und unpraktisch ist, trage ich lieber sehr eng sitzende Unterwäsche und verstaue alles wie oben bereits beschrieben. In dem Fall ersetzt die enge Unterwäsche das Gaffer Tape.
Wie war Dein erster öffentlicher Auftritt als Rosetta Bleach, was hast Du performt und wie hast Du Dich dabei gefühlt?
Mein erster Bühnenauftritt war im Sommer 2018. Es war eine Competition, bei der 4 Drag Queens in einem Lip-Sync Battle gegeneinander angetreten sind. Ich war mega aufgeregt und bin ganze Zeit hin und her gelaufen und hab viel zu viele Drinks in mich reingeschüttet. Kurz vor dem Moment, als mein Name aufgerufen wurde, um auf die Bühne zu kommen, stieg die Spannung ins Unermessliche an. Schlussendlich bin ich als Gewinnerin hervorgegangen.
Hast Du mit Rosetta Bleach eine Message an die Welt? Was willst Du als Drag Queen erreichen?
Ich will die Leute für einen kurzen Moment in eine andere Welt ziehen und zum Lachen und Tanzen bringen. Ein richtiges Ziel, was ich erreichen will, habe ich nicht. Ich will mich soviel wie möglich ausprobieren und sehen, was mich voranbringt. Gerade liegt mein Fokus auf DJing und Comedy.
Wie haben Familie und Freunde auf Deine Leidenschaft für Drag reagiert?
Jetzt wird es dramatisch! Freunde und Familie waren total okay damit. Aber es war auch keine große Überraschung, da ich schon in jüngeren Jahren mit Make-up und Geschlechterrollen experimentiert habe.
Hat Rosetta Bleach einen anderen Charakter als Marcel? Wenn ja, was kann Rosetta Bleach, was Marcel nicht kann?
Rosetta ist eine überspitzte Version von Marcel. Ich schlüpfe so gesehen nicht in eine Rolle, die nicht ich bin. Rosetta ist lauter und traut sich mehr. Drag ist für mich wie ein Superheldenkostüm, das meine “Power“ verstärkt.
Du erfindest Dich stetig neu – woher nimmst Du die Inspiration für immer neue Looks? Hat Rosetta ihren Look noch nicht gefunden oder liebst Du es einfach, zu experimentieren?
Das ist der verzweifelte Versuch meinen Look zu finden. Ich experimentiere gerne und selektiere im Nachhinein, was mir gut gefällt und behalte es bei. Anfangs hatte ich zum Beispiel nur einen einfach gezogenen Eyeliner, aber inzwischen male ich mir riesige schwarze Dreiecke um die Augen. Wenn man durch mein Instagram (@rosettableach) scrollt, kann man die stetige Entwicklung gut sehen.
Wer ist Dein größtes Vorbild in Sachen Make-up und Glamour?
Meine Drag-Schwester und andere Queens auf Instagram beeinflussen mich stark. Aus all den Inspirationen bastle ich mir dann meinen eigenen Look zusammen. #frankensteinmakeup
Was ist Dein Make-up-Geheimnis und welchen Tipp würdest Du allen Menschen geben, die sich schminken?
Viel Wasser trinken für eine reine Haut und immer ordentlich abschminken! Der Rest ist üben und experimentieren. Auch wenn es dann mal nicht so gut aussieht, weiß man beim nächsten Mal, wie man es nicht macht.
Du hast sehr viele Follower auf Instagram & Co. – bekommst Du auch negative Kommentare? Wenn ja, wie gehst Du damit um?
Bisher habe ich nur wenige negative, nicht konstruktive Kommentare erhalten. Leute, die mich sinnlos beleidigen, werden sofort blockiert.
Wie ist die Stimmung unter Drag Queens? Unterstützt Ihr Euch gegenseitig oder gibt es eher Streit und Rivalitäten?
Die Berliner Drag Queens sind relativ offen. Streit untereinander gibt es selten, bzw. bekomme ich davon selten nur etwas mit. Leider fühlen sich einige in der Szene schnell bedroht, wenn eine andere gut bei den Leuten ankommt. Mir ist es schon passiert, dass eine Queen angefangen hat, Gerüchte zu verbreiten. Die Leute, an die es verbreitet wurde, kennen mich zum Glück ganz gut und haben dem Ganzen kein Glauben geschenkt.
Was möchtest Du unseren Leser*innen unbedingt noch mitteilen?
Wenn ihr eine Drag Show besucht, gebt etwas Trinkgeld oder spendiert ein Drink! Natürlich dürft Ihr mir auch auf Instagram folgen 😉
Vielen Dank für das interessante Interview, Rosetta!