Frag’ eine Frauenärztin: Sheila de Liz im „unverschämten“ Interview

Sheila de Liz
Foto: © Gaby Gerster

Dr. med. Sheila de Liz ist Gynäkologin und eine gefragte Expertin zu den Themen Liebe, Sex und Gesundheit. Sie hat ihr erstes Buch „Unverschämt – Alles über den fabelhaften weiblichen Körper“ veröffentlicht, in dem sie erfrischend unkompliziert und locker über die weibliche Anatomie spricht, Wissenslücken schließt und mit hartnäckigen Mythen rund um den Orgasmus, die Klitoris und den G-Punkt aufräumt. Schon in unserem heart2heart-Podcast haben wir mit ihr gesprochen – nun hat sie sich erneut unseren und den Fragen unser Leser*innen gestellt.

Sheila de Liz im Interview mit AMORELIE

Danke, dass Du Dir Zeit nimmst für ein Interview mit uns. Du bist Gynäkologin und Autorin – eine nicht ganz alltägliche Mischung. Was hat dich bewogen, ein Buch über den „fabelhaften weiblichen Körper“ zu schreiben?

Sheila de Liz: Ich schreibe schon seit meinem achten Lebensjahr Geschichten, damals noch mit der alten Schreibmaschine meiner Mutter – komplett manuell, ohne Strom! Die Medizin und die Tätigkeit als Arzt haben jedoch ein sehr raumeinnehmendes Wesen, daher lag diese Seite von mir lange brach. In der Praxis habe ich festgestellt, wie wenig sich Frauen – aller Herkunftsschichten und Ausbildungsniveaus – mit ihrem Körper auskennen. Viele Frauen fragen sich, ob bei ihnen alles normal aussieht und funktioniert – oder ob ihre Schamlippen nicht doch zu groß oder zu dunkel sind … Es gibt einfach viele Wissenslücken, weil weder in der Familie noch in der Schule offen über diese Themen gesprochen wird.

Illustration: © Luise Stömer

Die weibliche Biologie darf aber aus meiner Sicht kein Insiderwissen sein, mit dem sich nur der Gynäkologe auskennt. Mit dem Schreiben – zunächst in Kolumnen und meinem Blog – fing ich an mit der Intention, diese Wissenslücken zu füllen und die Frauen in Deutschland aufzuklären. Daraus wurde schließlich ein Buch und ich freue mich riesig darüber!

Die Pille wird derzeit stark diskutiert. Immer mehr Frauen setzen sie ab und machen das auch publik, um eine öffentliche Diskussion anzuregen. Was hältst du davon und wie stehst du generell zur Pille als Verhütungsmittel?

Sheila de Liz: Die Pille hat durchaus ihre Berechtigung, zum Beispiel als zuverlässiges Verhütungsmittel oder zur Bekämpfung von fiesen Regelschmerzen. Für junge Mädels ist die Pille auf alle Fälle einer Spirale vorzuziehen. Aber ab einem gewissen Alter, so ab Mitte 20, darf man sich ruhig die Frage stellen, ob die Pille noch das Richtige ist – oder ob man sich mit einer anderen Methode wohler fühlen würde. Wenn man bei der Pille bleiben möchte, weil es mit ihr gut funktioniert – kein Problem. Sie fügt dem Körper keinen „Dauerschaden“ zu, wie viele befürchten. Alle ihre Effekte sind vollkommen reversibel.

Welches Verhütungsmittel kannst du ganz besonders empfehlen?

So allgemein lässt sich das nicht beantworten. Für jede Frau und jede Lebensphase gibt es den passenden Weg! Manchmal ist es eine hormonelle Lösung, manchmal eine Barrieremethode wie Kondome oder die Spirale – und manchmal einfach die Zyklusbeobachtung.

Gibt es wirklich nichts für den Mann außer Kondomen?

Sheila de Liz: Für Männer gibt es die Möglichkeit der Sterilisation, die bei abgeschlossener Familienplanung aus meiner Sicht die beste Verhütungsvariante darstellt. Die Pille für den Mann wurde übrigens nur deshalb nicht weiterentwickelt, weil man fürchtete, dass die Compliance zu schlecht wäre. Übersetzt heißt das: Die Männer würden sie nicht einnehmen wollen.

Unsere Kund*innen sind sehr an dem Thema Orgasmus bzw. die Schwierigkeiten zu kommen interessiert. Kommen deine Patientinnen auch mit solchen Themen zu dir? Wenn ja, was genau sind die häufigsten Fragen und was rätst du ihnen?

Sheila de Liz: Das ist sogar häufig ein Thema in meiner Praxis. Frauen wird ja gerne eingeredet, sie seien selbst schuld daran, wenn sie keinen Orgasmus haben. Dabei ist es schlicht und einfach so, dass 70 Prozent der Frauen nicht beim herkömmlichen Rein-Raus kommen, sondern nur, wenn ihre Klitoris stimuliert wird. Der Penis ist gar nicht dafür geeignet, uns zum Höhepunkt zu bringen! Patientinnen, die mit einem Orgasmus-„Problem“ zu mir kommen, rate ich daher, vor ihrem Partner zu masturbieren und so zu zeigen, was ihnen wirklich gefällt. Das kostet viele Frauen Überwindung, dabei sind die meisten Männer begeistert, Frauen dabei zuzuschauen. Natürlich können sich Frauen bei der Penetration auch selbst stimulieren oder sich vom Partner zuerst oral zum Höhepunkt bringen lassen.

Illustration: © Luise Stömer

Ein häufiges Thema in meiner Sprechstunde ist auch das weibliche Abspritzen: Die, die es tun, schämen sich oder sind irritiert (zu Unrecht: Guter Sex macht Flecken!). Die, denen das noch nie passiert ist, wollen wissen, wie man das „lernen“ kann. Da hilft nur Geduld: Die Sexualität ist wie ein Baum, der sich immer mehr entwickelt und neue „Äste“ bekommt. Man muss nicht alles sofort immer im Repertoire haben.

Was denkst bzw. hoffst du, wird auf deinem Gebiet in 20 Jahren nicht mehr so sein wie heute? Gibt es eine spezielle medizinische oder gesellschaftliche Entwicklung, der du entgegenblickst?

Sheila de Liz: Ich hoffe inständig, dass in 20 Jahren dieser Mythos vom vaginalen Orgasmus-„Problem“ nicht mehr existent ist, weil jeder weiß, dass die Klitoris unsere „Kanzlerin des Kommens“ ist, unsere Chefin des O. Es wäre schön, wenn Frauen allen Alters eine Sexualität lebe würden, die in ihrem Sinne ist – und nicht Sex haben, weil sie ihm das „schuldig“ sind, oder er sonst sauer wird, oder weil sie meinen, eine Performance abliefern zu müssen. Außerdem wäre ich sehr happy, wenn wir medizinische Bemühungen hätten, welche die Sexualität um die Lebensmitte thematisieren und aktiv unterstützen – bisher wird diese Sparte nämlich von der Mainstream-Medizin ignoriert.

Gibt es etwas, was dich heute noch in deinem Arbeitsalltag überrascht?

Sheila de Liz: Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell wir Frauen die Schuld auf uns nehmen. Etwa wenn es um Probleme beim Sex geht: Es ist stets die Frau, die zum Arzt geht, weil sie glaubt, sie sei „defekt“. Auch Frauen, die nicht schwanger werden, rennen als Erste zum Arzt – obwohl die Ursache zu 90 Prozent in der schlechten Spermienqualität zu suchen ist.

Fragen unserer Community – Leser*innen fragen eine Frauenärztin, was sie sich bisher nicht getraut haben zu fragen. Die häufigsten Anliegen:

  1. Sieht die Ärztin, wann und wie oft man Sex hatte?
    Nein, das können wir nicht sehen – und selbst wenn wir es könnten: Es wäre uns piepegal. Genauso wie die Schamhaarfrisur der Patientin oder ob sie am Morgen geduscht hat oder nicht. Wir sehen und riechen das nicht, keine Sorge.
  2. Kann man die Menstruationstasse trotz Spirale benutzen?
    Kein Problem. Nur bitte immer daran denken, vor dem Rausziehen das Vakuum rauszudrücken.
  3. Kann man was tun, wenn man nach dem Orgasmus sehr lange Schmerzen hat?
    Eventuell können Verwachsungen im Bauch der Übeltäter sein, zum Beispiel nach einer Operation. Am besten ein Ultraschall beim Frauenarzt machen lassen, um alles andere auszuschließen.
  4. Was tun gegen häufige Pilzinfektionen?
    Als erstes vorweg: Einen vaginalen Pilz holt man sich weder auf der Toilette noch im Schwimmbad noch beim Sex. Meistens ist die Ursache ein Immunabwehrproblem, zum Beispiel durch großen Stress oder andere Belastungen. Wenn die Infektion immer wiederkommt, hilft eine Langzeittherapie mit Anti-Pilz-Tabletten, die man zur Sanierung der Vagina schluckt. Ein Wort zur Hygiene: Bei der Pflege im Untergeschoss ist weniger mehr! Wasser ist super, aber wenn wir Seife benutzen, können sich Pilze festsetzen und Bakterien fröhlich vermehren.
  5. Wenn man regelmäßig Vibratoren benutzt, kann das die Klitoris kaputt oder unsensibler machen?
    Im Gegenteil: Die Klitoris ist dankbar für das Verwöhnprogramm. Und keine Sorge: So leicht geht sie nicht kaputt
Geschrieben von
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1 Kommentar

  • Mein Mann hat mich gebeten über das Thema Frauenärztin etwas mehr Informationen zu sammeln. Ich habe nun diesen Blogbeitrag gefunden und finde ihn super! Ich finde es immer klasse mich über neue Dinge zu informieren und mich weiterzubilden.

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