Wenn der Krebs in den Genen liegt – die Geschichte von Lisa

Die Geschichte von Lisa S.
Die Geschichte von Lisa S.

Kurz vor ihrer Hochzeit erfuhr Lisa, dass sie das Brustkrebs-Gen BRCA1 in sich trägt – und damit eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit für sie besteht, an Krebs zu erkranken. Sie entschied sich kurz nach der Hochzeitsfeier für eine prophylaktische Mastektomie, also ein Eingriff, bei dem ihr vorbeugend beide Brüste entfernt wurden. „Ich hatte mein Kleid schon und wollte mit meinen alten Brüsten heiraten.“ Ein Gespräch über Mut, zweite Chancen und einem stets positiven Mindset.

AMORELIE: Lisa, ab wann wurde Dir bewusst, dass Du das Brustkrebs-Gen in Dir tragen könntest? 

Meine Frauenärztin hat mich darauf aufmerksam gemacht, als ich ihr bei einer Vorsorgeuntersuchung vom frühen Tod meiner Tante erzählt habe. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es BRCA1 oder Ähnliches gibt.

AMORELIE: Wann hast Du Dich dazu entschieden, Dich auf das Gen testen zu lassen? 

Kurz nachdem bei meiner Cousine Brustkrebs diagnostiziert wurde. Im November 2017 habe ich mich in der Uni Düsseldorf testen lassen. Die Wahrscheinlichkeit lag bei 50 %. Tja, leider Pech gehabt.

AMORELIE: Wer in Deiner Familie trägt diese Genveränderung in sich? 

Definitiv meine beiden Tanten sowie meine Cousine väterlicherseits. Meine eine Tante verstarb mit Anfang 40 und meine Cousine hatte während ihrer 3. Schwangerschaft (mit 38) Brustkrebs. Sie musste sich während der Schwangerschaft einer Chemotherapie unterziehen. Das war natürlich für alle ein wahnsinniger Schock!

Eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken? Nein, danke!

AMORELIE: Was passiert bei dem Test? 

In der Uni gab es bereits einen Stammbaum meiner Familie, denn auch meine Tante und meine Cousine waren dort in Behandlung. Mir wurde Blut abgenommen und dann hieß es: Warten. Ich glaube sogar länger als eine oder zwei Wochen. Dann bekam ich Post, aber musste für das Ergebnis noch einmal einen Termin ausmachen. Das empfand ich als sehr belastend. Diese Unklarheit und das Warten.

AMORELIE: Wie bist Du mit dem Ergebnis des Tests umgegangen?

Ich hätte am liebsten direkt vor Ort in eine prophylaktische Mastektomie eingewilligt. Eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken? Nein, danke! Ich wurde dann gebeten, mir noch ein wenig Gedanken darüberzumachen und die Sache sacken zu lassen. Im März 2018 nahm ich Kontakt mit dem EVK Düsseldorf auf. Dort hatte sich meine Cousine auch operieren lassen. Die behandelnde Ärztin vor Ort hat einen hervorragenden Ruf und meine Cousine war zufrieden.

 Auf der Euphoriewelle ins Krankenhaus surfen

AMORELIE: Wie lang war die Zeit zwischen dem Testergebnis und Deinem Eingriff?

Meine Hochzeit war bereits für den 21.7.2018 geplant. Deshalb war die Frage, ob vorher oder nachher. Ich war für nachher! Ich hatte mein Kleid schon und wollte mit meinen alten Brüsten heiraten 😀 Mein OP-Termin war am 15.8.2018. Wir waren direkt nach der Hochzeit eine Woche in Italien und mehr oder weniger direkt danach war die OP. Das fand ich wirklich einen guten Plan. Auf der Euphoriewelle ins Krankenhaus surfen.

AMORELIE: Wie war der Eingriff für Dich? Hattest Du Angst, Deine „Femininität“ zu verlieren?

Da ich mich für die Variante mit sofortiger Rekonstruktion entschieden habe, hatte ich keine Angst. Angst habe ich sehr lange gar nicht zugelassen und auch erst im OP-Hemdchen wirklich empfunden. Ich habe mich unfassbar stark gefühlt! Ich konnte dem Krebs die Stirn bieten, so im Sinne von: „Mich bekommst Du nicht“. Was ist da Gewebe? Was ist da eine OP? Hauptsache, man schafft es, diese erbarmungslose Krankheit erst gar nicht in den Körper zu lassen. Für mich war der Eingriff aber nie eine Schönheitsoperation. Ich mochte meine alten Brüste wirklich gern. Deshalb habe ich mit den Ärzten besprochen, dass sie während der OP entscheiden, welches Implantat am besten zu mir passt, damit ich meinen alten Look beibehalte.

Ich habe mich unfassbar stark gefühlt! Ich konnte dem Krebs die Stirn bieten, so im Sinne von: Mich bekommst Du nicht!

AMORELIE: Wer oder was hat Dir besonders viel Kraft gegeben in der Zeit?

Es war einfach unfassbar, wie mein Umfeld reagiert hat. Alle waren super unterstützend und beeindruckt von mir und meinem lockeren Umgang damit. Ich bin da total frei. Es ist nichts, wofür ich mich schämen muss. Ich habe das Thema ganz offen kommuniziert. Mir hat damals das Wissen Kraft gegeben, dass ich so hoffentlich lange für meine potenziellen Kinder da sein kann. Die größte Stütze war aber natürlich mein Mann. <3

AMORELIE: Mittlerweile bist Du verheiratet und hast zwei Kinder – wie schön! Dennoch lag ja alles sehr nah beieinander. Was waren Deine Bedenken vor der Schwangerschaft?

Ich wollte den Eingriff unbedingt vor einer Schwangerschaft hinter mich bringen. Ich kenne bereits zwei Frauen, die während der Schwangerschaft an Brustkrebs aufgrund der BRCA1-Mutation erkrankt sind. Das wollte ich meinen Kindern und mir ersparen. Mir war deshalb sofort klar: vor einer Schwangerschaft Brüste ab!

AMORELIE: Ich fände es spannend, noch mehr über den Prozess zu erfahren. Durchläuft man mehrere Schritte? 

Es wurde alles in einem Rutsch gemacht. Ich glaube, die OP dauert ungefähr 4 Stunden. Ende November 2018 habe ich schon wieder Fußball gespielt. 🙂

AMORELIE: Wurde der Eingriff von Deiner Krankenkasse übernommen? 

Ja. 🙂

Mir wurde wenigstens die Chance gegeben, die viele andere Frauen nicht haben.

AMORELIE: Hattest Du eine brusterhaltende Operation oder hast Du Deine Brüste rekonstruieren lassen? 

Es sind nur die Haut und die Brustwarzen erhalten worden. Die Brustwarzen erhöhen das Risiko noch minimal, aber irgendwie war mir das für die Optik wichtig. Schade ist, dass meine Brüste inklusive Brustwarzen komplett taub sind. Also leichte Berührungen spüre ich gar nicht. Erst, wenn meine Kinder mir rein kneifen, merke ich den Schmerz. Aber Stillen war so nicht möglich. Allerdings fand ich das auch gar nicht schlimm.

AMORELIE: Du hast Dir erst kürzlich die Eierstöcke präventiv entfernen lassen. Wurde Dir dazu ärztlich geraten oder war das Deine Entscheidung?

Mein Risiko für Eierstockkrebs lag bei 40 %. Es ist schwierig, diesen Krebs im Frühstadium zu erkennen. Also sehr tückisch. Ich habe 2020 einen Sohn bekommen und bewusst 2021 den Zweiten, damit ich so schnell wie möglich auch die Eierstock-OP hinter mich bringen konnte.

AMORELIE: Vergisst Du gelegentlich, dass Du diese Eingriffe hattest oder wirst Du immer wieder daran erinnert? 

Ich vergesse es sehr oft. Aber es gehört auch einfach zu mir. Ich finde es nicht schlimm oder tragisch. Es ist, wie es ist, und mir wurde wenigstens die Chance gegeben, die viele andere Frauen nicht haben.

AMORELIE: Wie hoch ist das Risiko für Dich jetzt, doch noch an Brustkrebs zu erkranken? Oder ist das durch diese OPs nun mit Sicherheit nicht mehr möglich? 

Das Risiko an Brustkrebs zu erkranken liegt bei mir jetzt, glaube ich, bei unter 5 %. Durch das Implantat sind Knoten aber wohl auch leichter zu erkennen.

AMORELIE: Wie schaust Du in die Zukunft?

Positiv wie immer 🙂 Ich bin sehr dankbar. Ich habe zwei gesunde Kinder, einen tollen Mann und einen gesunden Körper. Ich würde jeder Frau, die zweifelt, zu diesem Schritt raten. Mich hat es stark gemacht und mir viel Leichtigkeit wiedergegeben, die ich wahrscheinlich sonst nicht gehabt hätte. Die Monate des Wartens habe ich am belastendsten empfunden. Nicht zu wissen, ob ich das Gen habe, dann auf die OP zu warten … damit hätte ich nicht gut leben können. 

AMORELIE: Was möchtest Du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben? 

Seht es als Chance, nicht als Bürde! Klar würde man lieber darauf verzichten, aber man kann selbst etwas machen, man hat es in der Hand! Man muss nicht warten, dass etwas mit einem passiert!

AMORELIE: Was hat Dir in der gesamten Zeit am meisten geholfen? 

Ein positives Mindset!

AMORELIE: Wurdest Du auf dem Weg therapeutisch begleitet? 

Nein, aber meine beste Freundin ist Psychologin. 🙂

AMORELIE: Danke für das offene Gespräch, Lisa!

Geschrieben von
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1 Kommentar

  • Danke liebe Carina!
    Das Interview hat mich auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle geschickt.
    Die Resonanz ist toll und ich danke dir, dass du dir meine Geschichte angehört hast.

    LG

    Lisa

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